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AutorenbildPatrick Jiranek

Achtsamkeitstechniken liegen im Trend, sowohl privat als auch im Unternehmenskontext. Und trotzdem nimmt die Erschöpfung in der Arbeit zu, Burnout-Raten steigen. Was, wenn die Meditationsstunde über Mittag doch nur dazu da ist, die anstehenden Nachmittagsmeetings noch produktiver zu überstehen? Und was macht regenerative Arbeitsräume in der Organisation der Zukunft aus?



Meditation als «Tool»


Zum Ende meines Psychologiestudiums wurde bei mir im Hinterhof in München-Schwabing ein Meditationszentrum eröffnet. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon länger die Absicht gefasst, zu meditieren. So verstand ich die Eröffnung vor gut 15 Jahren als so etwas wie ein Zeichen.

 

Meditation und Achtsamkeit wurden schnell zu einem festen Bestandteil meines Tagesablaufs. Es ging mir anfangs darum, im kopflastigen Studienalltag auf ein spirituelles Ziel hin zu arbeiten. Aber vor allem wollte ich, ehrlich gesagt, Klarheit im Kopf erlangen. Das heisst, ich wollte die Übersicht behalten, wenn wieder alle Gedanken auf einmal kommen; wenn es unklar wird, was davon wichtig ist, mit was ich eigentlich beginnen sollte: zu beantwortende SMS, Erledigungen, Abgabetermine und zu bezahlende Rechnungen. All diese «To Dos» konnten bisweilen die Form einer mich mitreissenden Flutwelle annehmen.

 

Meditation wurde bald zu einem «Tool», das ich genutzt habe, um gut geordnet in den Tag zu starten, um meine Gedankenflut zu zähmen. Anfangs noch begleitet von fremdsprachigen Mantren, erzeugt durch meine vibrierende Kopfstimme. Im Meditationszentrum übte ich wöchentlich im Gruppensetting ein, was mich dann über die Woche im stillen Kämmerlein begleitete.


Meditation zur Selbstoptimierung


Strikt hielt ich mich an die Routine der täglichen Wiederholung. So kam das Meditieren wie Zähneputzen, quasi «diszipliniert» in mein Leben: man macht’s täglich, zweckgebunden. Etwa, um in der Flutwelle zu bestehen und nicht von ihr fortgerissen zu werden.

 

Dann kam das Doktorat in Zürich an der ETH. Mit dem Umzug in die Schweiz nahm ich 2010 neben Möbeln auch die alltäglich gewordene Routine des Meditierens mit. Mit den Anforderungen der Fördermittelakquise, Recherche, Textproduktion, Veröffentlichung, Herausgeberschaft, Betreuung von Abschlussarbeiten und Vorträgen bestand genug Potenzial für Gedankenflut.

 

Dabei wurde Meditation schleichend zu meinem Tool der Selbstoptimierung. Teils kamen zündende Ideen im mehr schlecht als recht ausgeführten Lotussitz. Dann hinkte und stolperte ich mit eingeschlafenem Fuss vom Kissen zum Schreibtisch, um mir hastig die Ideen zu notieren. Es ging also jetzt immer mehr darum, die Meditation für Produktivität zu nutzen.

 

Wie schnell sich diese Selbst-Optimierungsstrategien und Zeitmanagement verselbstständigen und ausweiten, beschreibt Oliver Burkeman in «4000 Wochen» sehr anschaulich als wucherndes Fass ohne Boden. Und so geschah es auch bei mir: Was im Hinblick auf Arbeitsthemen begann, verschob sich später ins private Leben.

 

Die Optimierung wurde zum Selbstzweck. D.h. ich habe mich bspw. von sozialen Situationen abgeschirmt, um Ideen bringende Momente nicht zu verpassen; mir und anderen ggü. Zeitdruck aufgebaut, wo keiner nötig war. Dieser Selbstzweck fiel auf fruchtbaren Boden. Mein Antreiber «sei perfekt» war die Erde. Diese Erde nahm die Aussaat der Selbstoptimierung dankend auf. Und es wuchs etwas empor, das mich weit von meinem inneren Kern entfernte.



Achtsamkeit als Komplize des Burnouts


Ein zentraler Wendepunkt in meinem Verständnis von Achtsamkeit war der Unterschied zwischen Selbstwert und Selbstmitgefühl. Der Fokus auf Selbstwert ist oft nach außen gerichtet – Ziele erreichen, Bestätigung von anderen erhalten. Selbstmitgefühl dagegen ist innerlich. Es bedeutet, sich selbst so anzunehmen, wie man gerade ist: ohne den ständigen Druck, sich beweisen zu müssen. Es ist eine nachhaltigere Form von «Self-Care», die nicht auf externen Erfolg angewiesen ist. Ich erkannte nach einiger Zeit, dass Meditation und Achtsamkeit mir helfen konnten, mich mit Selbstmitgefühl zu betrachten, statt mich ständig an den Standards der Selbstoptimierung zu messen.

 

Und gleichzeitig wurde mir klar: Meditation kann, wenn der Stress im Privat- und Arbeitsleben zunimmt, ein Komplize des Burnouts werden. In einem Podcast hörte ich eine treffende Metapher: Meditation kann wie ein Gefängnis sein, wenn sie nur dazu dient, die Erschöpfung zu überdecken, anstatt wirklich etwas Grundlegendes zu verändern.

 

Auch ich nutzte Meditation oft, um mich kurzfristig besser zu fühlen, ohne die tieferliegenden Ursachen meiner Überlastung anzugehen. Das ist in stresserfüllten Lebensphasen nachvollziehbar: die menschliche Psyche schaltet dann in eine Art Autopilot. Achtsamkeit kann dann für den Moment und den Kontext funktional sein. Das heisst, sie half mir dabei, weiter produktiv im System zu arbeiten. Aber am System selbst, also bspw. an der Art, wie ich arbeitete und mich erholte, mit mir selbst und anderen sprach, welche Grenzen ich setzte, veränderte ich nichts.

 

Der Schlüssel lag für mich darin, meine innere Haltung gegenüber Meditation zu hinterfragen. Warum meditiere ich? Um zu funktionieren, den Alltag zu bewältigen? Oder meditiere ich, weil es einem Bedürfnis in mir entspricht? Dabei ist wichtig zu betrachten: kann ich mein Bedürfnis stillen oder ist es unersättlich? Ist letzteres der Fall, ist im Sinne der Bedürfnisregulation davon auszugehen, dass Meditation lediglich ein Ersatzbedürfnis darstellt. Dass ich Meditation also nutze, um etwas anderes zu überdecken oder zu vermeiden: bspw. meine Angst vor Ineffizienz oder Kontrollverlust.


Achtsamkeit und Erschöpfung in Organisationen


Nun stellt sich die Frage, wie Achtsamkeit in Organisationen wirken kann. Eine Selbstwert dienliche, auferlegte, zielorientierte Achtsamkeit wird nachhaltig kaum hilfreich sein. Sie wird die Selbstoptimierung nur weiter forcieren. Wie bereits erwähnt, ist die Haltung von Mitarbeitenden und auch das «Framing» in Unternehmen entscheidend: geht es um das Instrumentalisieren von Meditation zur Kreativitäts- und Leistungssteigerung, spüren das Mitarbeitende schnell. Ist Meditation ein Steigbügel für Selbstwert, Effizienz und Selbstverwirklichung, wird es problematisch.

 

Alain Ehrenberg beschreibt in «Das erschöpfte Selbst», dass die moderne Gesellschaft zunehmend durch den Druck der Selbstverwirklichung geprägt ist. Die ständige Forderung nach individueller Leistung führt zu chronischer Erschöpfung, weil Menschen gezwungen sind, sich permanent selbst zu optimieren. Dies überträgt sich auch auf Organisationen, wo die Grenze zwischen beruflicher und persönlicher Leistung verwischen kann.

 

Das heisst, wenn im inneren Dialog die Überzeugung entsteht, „ich bin erst ein wertvoller Mensch, wenn ich ständig volle Leistung bringe“, dann liegt etwas im Argen. Korrespondiert die Unternehmenskultur dieses Leistungsanspruchs im Aussen mit Antreibern wie „sei perfekt“ oder „mach es anderen recht“ im Innen, so entsteht ein Risiko für Erschöpfung.


Individuelle Selbstverantwortung in Organisationen


Neben der Verantwortung von Organisationen sind auch Mitarbeitende dafür verantwortlich, ihre Haltung zu reflektieren. Dafür ist es wichtig, ihnen ihre Selbstverantwortung bewusst zu machen. Das bedeutet, dass ein Individuum die Verantwortung für eigene Entscheidungen, Emotionen und Handlungen übernimmt, statt die Ursachen für Schwierigkeiten und Blockaden im Aussen zu suchen.

 

Ist eine Person nicht in ihrer Selbstverantwortung, kann es sein, dass sie versucht, andere Menschen oder äussere Umstände zu beeinflussen, um sich vor unangenehmen Gefühlen zu schützen: Also als Führungsperson beispielsweise nur Mitarbeitende anstellt, die ihr nicht gefährlich werden können, weil sie etwa keine eigene Meinung äussern.

 

Damit ein Team entsteht, das konstruktiv mit Widersprüchen und Kontroversen umgeht, ist es aber wichtig, die eigene innere Haltung, Verhalten oder Perspektiven zu hinterfragen. Die Haltung, dass eigenes Wohlbefinden oder eigene Ziele aktiv durch Manipulation äusserer Umstände bewirtschaftet werden müssen, läuft dem entgegen. Absichtslose, auf Achtsamkeit fokussierte Meditation kann helfen, die eigene Haltung zu ändern. Denn sie setzt an dem Punkt an, wo etwas als unangenehm wahrgenommen wird. Also an der Wurzel.



Achtsam- und Konfliktfähigkeit für regenerative Arbeitsräume

 

Organisationen sehen sich schon heute hoher Komplexität und Widersprüchen ausgesetzt. Es gilt das scheinbar Unvereinbare zu vereinen. Auf der einen Seite sind sie konkurrenzfähige, auf Effizienz getrimmte Räume; ökonomische Überlebensfähigkeit ist und bleibt ein fundamentaler Bestandteil ihrer Identität. Auf der anderen Seite fordern aber Mitarbeitende und Kunden:innen mehr «Purpose»: das heisst übergeordneten Sinn und Zweck, also Aspekte, die weit über Umsatz und Gewinn hinausgehen. Konflikte hierzu sind vorprogrammiert.

 

Klaus Eidenschink zeigt in «Die Kunst des Konflikts» anschaulich, dass Konflikte unvermeidlich sind und als Ressource genutzt werden können. Denn Konflikte reflektieren oft die tiefer liegenden systemischen Probleme einer Organisation. Sie zeigen, wo bspw. Kommunikationswege oder Werte nicht im Einklang sind. Auch Morton Deutsch hat mit seiner Theorie der «Konstruktiven Kontroverse» das Potential von Konflikten aufgezeigt. Demnach fördern sie kritisches Denken und Kreativität und können Innovation und Veränderung ermöglichen.

 

Organisationen sollten demnach Räume schaffen, in denen Konflikte nicht nur zugelassen, sondern aktiv und produktiv genutzt werden. Führungspersonen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Sie sollten dafür sorgen, dass Konflikte offen und wertschätzend ausgetragen werden und so zu einer konstruktiven Konfliktkultur beitragen.

 

Zudem können Organisationen Strukturen etablieren, die Raum für Erholung, Reflexion und wechselseitige Resonanz bieten – abseits von Leistungsdruck und permanenter Selbstverbesserung. Das könnte durch flexible Erholungszeiten oder das aktive Fördern von nicht-arbeitsbezogenen Interessen geschehen. So ist neben der Sportgruppe auch die Achtsamkeitsgruppe förderwürdig. Dabei ist es wichtig, keine Ziele an Achtsamkeit zu knüpfen.

 

Die Verbindung zu Ehrenbergs Thesen verdeutlicht: Mitarbeitende benötigen mehr als nur kurzfristige Maßnahmen zur Steigerung ihrer Produktivität. Sie brauchen regenerative Räume, die es ihnen ermöglichen, sich nicht nur an äußeren Anforderungen, sondern auch an ihren tieferliegenden, eigenen Bedürfnissen zu orientieren. Letztlich können so Arbeitsräume entstehen, die nicht nur nicht schaden, sondern Ressourcen bieten. So kann «mindlessness» wieder «mindful» werden.

 

Event-Hinweis: «Self-Care inmitten von Unsicherheit – engagierte Gelassenheit kultivieren» am 23. Januar 2025 in Zürich

 

In einer Welt voller Unsicherheiten und ständiger Veränderungen kann es schwierig sein, innere Ruhe zu finden und gleichzeitig engagiert zu bleiben.

 

In diesem Kurs setzt du dich auseinander mit dem Fundament, das wirkungsvolles Handeln braucht.

 

Während zweieinhalb Stunden (von 14.30 bis 17.00 Uhr) bieten wir einen geschützten Raum, in dem du Techniken der Selbstfürsorge und achtsamen Gelassenheit kennenlernen und erleben kannst.



---Dieser Blogbeitrag ist auch bei futureready.ch erschienen---


AutorenbildPatrick Jiranek

„Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“ (Max Frisch)




Dieses Zitat hatte ich vor mehr als 10 Jahren, frisch in der Schweiz angekommen, gelesen. Obwohl es mir nicht aus dem Kopf ging, löste es anfangs eher Unverständnis aus. Über Jahre von Elternschaft, wechselnden Arbeitsverhältnissen und -rollen hinweg, entstand mehr Klarheit zum Resilienz bildenden Effekt von Krise. Das hing eng zusammen mit der Erkenntnis, dass ich immer mal wieder gerne Problematisches, Forderndes vermieden habe: bspw. Situationen, in denen Andersdenkende mich „triggern“.


Das Produktive in Krisen


Systemtheoretisch gelten Krisen als Momente, in denen die Komplexität eines Systems seine Fähigkeit überschreitet, Information zu verarbeiten. Zudem gilt die Gleichung: Je höher die Komplexität, desto mehr Widersprüche sind vorhanden und gilt es auszuhalten. Es greift gewissermassen die Logik "das Richtige ist Falsch und das Falsche richtig". Und hier wird es spannend und relevant für die Frage, ob und wie Krise produktiv sein kann. Je weniger wir bereit und fähig sind, auch Widersprüche auszuhalten - im Innen wie im Aussen - desto schwerer wird es uns fallen, Krisen produktiv zu nutzen.


Widersprüche ausserhalb der "Bubble"


Das ist in der heutigen Zeit, in der wir durch soziale Medien in einen Zustand von „wir sind uns doch alle einig“ gelullt werden, mehr die Regel als die Ausnahme. Geraten wir dann in der physischen Realität ausserhalb der Blase an Andersdenkende, überrumpeln uns deren Widersprüche. Doch gerade diesen Widersprüchen sollten wir uns stellen und soziale Situationen ausserhalb der Blase suchen. Zudem sich eigener Anteile bewusster werden. Denn problematisch werden Widersprüche erst, wenn ich Anteile in mir mundtot mache, die den Widersprüchen im Aussen etwas abgewinnen können.


Das Katastrophale in Krisen


Wie wird also die Krise katastrophal? Am ehesten, wenn ein Individuum oder eine Gruppe weiter macht wie bisher und auf vermeintlich Bewährtes setzt: „Fight fire with fire“. Das kann passieren, indem auf Aktionismus noch mehr Aktionismus folgt. Oder mit anderen Worten: arbeiten wir weiter vermeidungsgetrieben im System, statt am System, ist das ein Garant für Stillstand.


--Dieser Beitrag erschien auch auf LinkedIn--

AutorenbildPatrick Jiranek

Ich starte meinen Blog mit Vertrauen. Warum? Weil wir Vertrauen häufig als Kit unseres Miteinanders wahrnehmen. Gleichzeitig erleben wir heute Phänomene wie «deep fakes», Verschwörungsglauben und Manipulation durch die «Bubble» via Algorithmen in sozialen Medien. Dies lässt blindes Vertrauen zumindest bedenklich erscheinen.



Soziales Vertrauen 


Aussagen wie «Vertrauen muss man sich verdienen», «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» oder «Vertrauen braucht lange, um aufgebaut zu werden, aber ist schnell verspielt» spiegeln einerseits das Menschenbild wider, das hinter den Aussagen steckt. Aber zeigen auch, dass Vertrauen ein wichtiges und doch fragiles soziales Gut ist. Sozialwissenschaftlich hat Vertrauen deshalb viel Aufmerksamkeit erhalten. 


In der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann ist es ein Mittel, um Komplexität zu reduzieren. Das ist für unsere immer komplexer werdende Welt sehr wichtig: Vertrauen ermöglicht Menschen in einer unsicheren Umgebung handlungsfähig zu bleiben und schnell zu reagieren. Denn wenn ich vertrauen kann, muss ich nicht jede Information prüfen und kann schneller entscheiden. Und in der Spieltheorie wird deutlich: Vertrauen lohnt sich auch ökonomisch.


Organisationales Vertrauen


In der Konstruktiven Kontroverse des Psychologen Morton Deutsch ist Vertrauen die Grundvoraussetzung, u.a. für kreatives Problemlösen in Organisationen. D.h. Vertrauen versinnbildlicht ein unterstützendes Umfeld, in dem sich Menschen wohl fühlen, auch wenn sie Risiken eingehen: etwa, wenn sie neue Ideen präsentieren. 


Dies wird auch deutlich durch das bei Google prominent gewordene Phänomen der Psychologischen Sicherheit. Vertrauen ist hier der unsichtbare und zentrale Faktor: Gleiche Redezeit, persönliches Öffnen, wenn man dran kommt im Meeting, salopp «sich nicht blöd fühlen, wenn man Fragen stellt». Ohne Vertrauen in die Gruppe ist das schwer möglich.


Gleichzeitig ist wichtig anzumerken, dass für das Funktionieren von Organisationen Vertrauen in das System wichtiger ist, als Vertrauen in Einzelpersonen.


Kooperatives Vertrauen


In der Partizipation im Klimaschutz mit diversen Akteurs-Gruppen habe ich gelernt: ohne Vertrauen keine Co-Creation bzw. Kooperation; gerade dann, wenn sich Stakeholder zusammentun sollen, die hinter verhärteten Fronten verschiedene Ziele verfolgen.


Etwa Mitarbeitende einer Stadtverwaltung, die Ziele ihrer Abteilung vertreten, treffen auf Aktivisten:innen, die harsche Kritik äussern an ebendiesen Aktivitäten (oder am Nichthandeln) der Abteilung. Beide Seiten antizipieren häufig Charakteristika der «Gegenseite». Gelingt es aber, das offen zu thematisieren und neben der Vernunft auch emotionale Anteile in der Begegnung zu berücksichtigen, entsteht Momentum für gemeinsames Handeln.


Grundlage hierfür kann die Theory U bieten. So stellen Teilnehmende unter anderem mittels «system mapping» fest, dass ALLE Teil EINES Systems sind: es entsteht ein wechselseitiges Bild differenzierter wahrgenommener Mit-Bürger:innen. Ohne Begegnung bleibt häufig das undifferenzierte Bild der «Gegenseite» bestehen.


Aus meiner praktischen Erfahrung ist neben ganzheitlichen methodischen Ansätzen - also jenen, die Emotionen einbeziehen, statt sie auszuklammern - schlichtweg physische Begegnung wichtig, um Vertrauen aufzubauen.


🌳 Wie Vertrauen in Kooperationen wächst: Durch Zuverlässigkeit, Offenheit, Präsenz, Nahbarkeit, Fehler-/Experimentierfreudigkeit, Dialog auf Augenhöhe, Respekt, gemeinsame Erfahrungen.

 

🎲 Wie man Vertrauen bei Kooperationen verspielt: Durch Kontrolle, Unverbindlichkeit, erhobenen Zeigefinger, Intransparenz bei Entscheidungen und Interaktionen, Spiel auf Zeit.


Selbst-Vertrauen

 

Doch wie steht es um das Vertrauen in die eigene Person? In meinem Coaching-Ansatz und im Rahmen meiner eigenen Veränderung lerne ich: Selbst-Vertrauen verhilft zu einem sichereren Umgang mit Unsicherheit. Es steht u.a. in Zusammenhang mit Selbstakzeptanz, Selbstverantwortung und «Bewusstheit».

 

Bei der Selbstakzeptanz geht es, in aller Kürze, darum, wie sehr innere Anteile einander bejahen oder auch verneinen. D.h. wie stark ist mein innerer Konflikt?

 

Selbstverantwortung bezieht sich darauf, ob eine Person sich als betroffen oder handelnd wahrnimmt. Ob man sich bspw. als Spielball äusserer Reize sieht oder sich selbst als Gestalter:in eigener Empfindungen.

 

«Bewusstheit» stammt aus der Gestalttherapie und entspricht dem englischen Begriff Awareness. Mit Bewusstheit können wir die Spaltung zwischen Denken und Fühlen durchbrechen und einer starken «Kopflastigkeit» entkommen.


Wenn ich mir also unbewusster Anteile kognitiv bewusst(er) werde und gleichzeitig lerne, differenziert(er) zu fühlen. Dies gelingt am ehesten, wenn ich mit einem geschulten Gegenüber übe, emotionale Anteile in mir wahrzunehmen und zu benennen.




Vertrauensfähig- und Vertrauenswürdigkeit

 

Die Frage, ob wir vertrauensfähig sind, beantworten gegenwärtige Autoren verschiedener Generationen, wie Jeremy Rifkin mit «Empathic Civilization» und kürzlich auch Rutger Bregman mit «Im Grunde gut» anschaulich; u.a. dank Bezügen zu bildgebenden neurowissenschaftlichen Verfahren und epidemiologischer Forschung wird deutlich: wir sind viel vertrauensfähiger als wir manchmal denken.

 

Die Frage danach, wie vertrauenswürdig physische und auch digitale Institutionen sind, wechselt die Blickrichtung: D.h. wie nachhaltig ist unser Vertrauen, wenn Meinungsbildung manipulativ wird? Ein Beispiel hierfür sind Wahl-Einflussnahmen auf Facebook à la Cambridge Analytica.

 

In Zeiten von «Fake News», KI, ChatGPT, kriegerischen Auseinandersetzungen vor der Haustüre, kann unser Vertrauen bröckeln. Da erscheint «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» durchaus angebracht. Denn es ist heute so, dass wir immer mehr Fakten prüfen müssen: sozialen Medien blind zu vertrauen wäre fahrlässig.


Fazit


Man kann also nicht einfach sagen, dass Vertrauen, bspw. um Komplexität zu reduzieren, immer gut ist. Vor allem im Informationszeitalter steht die Vertrauenswürdigkeit digitaler Information auf wackligen Beinen.


Gleichzeitig gilt es auch in Organisationen eine Balance aus Kontrolle und Vertrauen zu halten. Denn auch Kontrolle, etwa im Sinne von Zielerfüllung hat eine wichtige Funktion: sie hilft bei der Orientierung. Gleichzeitig spielt hierbei Kommunikation eine entscheidende Rolle, damit Kontrolle nicht zu Misstrauen führt.   


Und was das Selbstvertrauen anbelangt: hier ist der reine Verstand nicht immer der beste Ratgeber. Vielmehr ist ein fundiertes, d.h. auch auf affektiven und psychodynamischen Anteilen aufbauendes, Selbst-Vertrauen wichtig.


--Dieser Beitrag erschien als kürzere Version auch auf LinkedIn--


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