„Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“ (Max Frisch)
Dieses Zitat hatte ich vor mehr als 10 Jahren, frisch in der Schweiz angekommen, gelesen. Obwohl es mir nicht aus dem Kopf ging, löste es anfangs eher Unverständnis aus. Über Jahre von Elternschaft, wechselnden Arbeitsverhältnissen und -rollen hinweg, entstand mehr Klarheit zum Resilienz bildenden Effekt von Krise. Das hing eng zusammen mit der Erkenntnis, dass ich immer mal wieder gerne Problematisches, Forderndes vermieden habe: bspw. Situationen, in denen Andersdenkende mich „triggern“.
Das Produktive in Krisen
Systemtheoretisch gelten Krisen als Momente, in denen die Komplexität eines Systems seine Fähigkeit überschreitet, Information zu verarbeiten. Zudem gilt die Gleichung: Je höher die Komplexität, desto mehr Widersprüche sind vorhanden und gilt es auszuhalten. Es greift gewissermassen die Logik "das Richtige ist Falsch und das Falsche richtig". Und hier wird es spannend und relevant für die Frage, ob und wie Krise produktiv sein kann. Je weniger wir bereit und fähig sind, auch Widersprüche auszuhalten - im Innen wie im Aussen - desto schwerer wird es uns fallen, Krisen produktiv zu nutzen.
Widersprüche ausserhalb der "Bubble"
Das ist in der heutigen Zeit, in der wir durch soziale Medien in einen Zustand von „wir sind uns doch alle einig“ gelullt werden, mehr die Regel als die Ausnahme. Geraten wir dann in der physischen Realität ausserhalb der Blase an Andersdenkende, überrumpeln uns deren Widersprüche. Doch gerade diesen Widersprüchen sollten wir uns stellen und soziale Situationen ausserhalb der Blase suchen. Zudem sich eigener Anteile bewusster werden. Denn problematisch werden Widersprüche erst, wenn ich Anteile in mir mundtot mache, die den Widersprüchen im Aussen etwas abgewinnen können.
Das Katastrophale in Krisen
Wie wird also die Krise katastrophal? Am ehesten, wenn ein Individuum oder eine Gruppe weiter macht wie bisher und auf vermeintlich Bewährtes setzt: „Fight fire with fire“. Das kann passieren, indem auf Aktionismus noch mehr Aktionismus folgt. Oder mit anderen Worten: arbeiten wir weiter vermeidungsgetrieben im System, statt am System, ist das ein Garant für Stillstand.
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